Sonntag, 13. Februar 2011

Venusschleier


Arbeit am Schleier

Eine merkwürdig massive Begegnung meiner Arbeit mit einer Art Zeitgeist hat stattgefunden, die vielleicht völlig sinnlos ist. In den vergangenen Monaten verkaufte ein berühmter italienischer Werbefotograf einen Kalender für eine Lederfirma, in dem zwölf Fotos weiblicher Schamdreiecke die Monate begleiten. Gleichzeitig entstand eine Werbung für eine US-amerikanische Dessous-Firma, wo unter durchscheinenden Höschen gewaltige Schamlocken sich kräuseln. Und kürzlich las ich von einem Oscar für Fotografie, der 2010 an ein Foto eines weiblichen Schamdreiecks (Perücke?) ging.
Ich habe mich im Jahr 2010 malerisch, philosophisch, kunsthistorisch mit dem behaarten Schamdreieck beschäftigt, dass ich aus guten Gründen Venusschleier nenne. Mich überrascht es einfach, meine Arbeit in Gesellschaft von qualifizierter Fotografie und Werbung zu sehen.
Im folgenden skizziere ich daher meinen eigenen diesbezüglichen Erkenntnisstand, wie ich ihn in fast hundert Seiten ausformulierte und in etwa gleich vielen Bildern malte.
  1. In bisheriger Geschichte der Malerei hatte nur das geometrische, das pyramidale Dreieck eine Chance, zusammen mit und nach Viereck, Kreis, Kubus. Den dreieckigen Venusschleier zu malen war für mich daher ein Rausch im Niemandsland verdrängter Malerei. (Es gibt eine Reihe Probleme zwischen Punkt 3 und Punkt 4).
  2. Dreht man das Dreieck mit hohem C-Punkt, das auf Deutsch, Wink mit den Zaunpfahl, sogar Schenkel hat, um 180 Grad, wird es figurativ, der Venusschleier erscheint: Revolution, Tabubruch, Unbewusstes.
  3. In den tausende Jahre alten prähistorischen weiblichen Figurinen findet man gigantische (anbetungswürdige) Venusschleier ebenso wie kahlrasierte Vulvae, somit haben wir es mit einer frühen Dichotomie zu tun (Parteien, Religionen, Geschmäcker).
  4. Rasiert simuliert Weib Präpubertäres, die kleine Schwester, bietet den Geheiminzest und Aufklärung zugleich an. Schleierfetischisten dagegen, Liebhaber des „Bären“, machen aus dem haarigen Beweis der Mutterschaftsfähigkeit ein aphrodisischen Kult (ich mag beides).
  5. Das sanfte haarige Dreieck verschleiert exzentrisch die Vulva. Es stellt sicherlich das Urphänomen des Schleiers dar. Kein Wesen, kein Sein, kann ganz ohne Verschleierung existieren. Schleier der Maya in meiner Begegnung mit Werbung und Foto, im Beginn von „Eyes wide shut“ (Kubrick), in der heterogensten Szene in Buñuels „Belle de Jour“, als Catherine Deneuve unter schwarzem Schleier sich auf den Weg macht, eine Tote zu spielen.
  6. Menstrualblut, das der Venusschleier bedeckt, ist Ursprung von Ritual und Opfer. Sprache ist ebenso ein Schleier wie Bild ein Schleier ist. Schleier als Inbegriff von Gastlichkeit, nämlich Aufforderung an etwas teilzunehmen, in etwas einzugehen, das sich verschleiert, verwischt, bedeckt (lebendige Jungfräulichkeit).
  7. Das deutsche Wort „Gastfreundschaft“ ist strandräuberisch, maffiös, ein Unding. Denn Gastlichkeit gilt für Fremde, bezeichnet die Möglichkeit einer relativen Öffnung vom und zum Anderen (Tote, Götter, das andere Geschlecht). Das deutsche Wort „Offenbarung“ konstruiert seinerseits eine Tautologie: offen plus ohne nichts. Lateinisch heißt Offenbarung re-velatio, was so viel wie Wieder-Verschleierung heißt (heischt).
  8. Erscheinung des Lebendigen: Aus der verschleierten Vulva kommt das Menstrualblut, mythischer Lebensursprung, besonderer Saft. Das Dreieck mit dem C-Punkt nach unten verschleiert das Allerheiligste. Eine geheime Verbindung entsteht zwischen diesem (verpönten) oberflächlichsten Schleier, seinem Wert, seinem Aussehen, seiner Stofflichkeit und Qualität und dem „aller tiefsten“ Wesen.
  9. Weswegen die Präsentationskunst meiner gemalten Venusschleier.
  
Weitere Bilder in den Galerien: Galerie1 - Galerie 2

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